Oktober 2022: Erläuterung der aktuell geltenden Regelungen zur „Preisgleitklausel“

(Umgang mit Preissteigerungen und Lieferengpässen in Folge des Angriffskrieges auf die Ukraine, März-Juli 2022)
1. Allgemeines zu Preisgleitklauseln
Preisgleitklauseln sind in Deutschland grundsätzlich nicht zugelassen, soweit nicht das Preisklauselgesetz eine Ausnahme zulässt (§ 1 Abs. 1 PrKG). Preisgleitklauseln werden vereinbart, wenn die Vertragsdauer sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und zu erwarten ist, dass die Kosten zur Herstellung des Produktes starken Schwankungen unterliegen könnten. Das erklärte Ziel ist die Risikominimierung in erster Linie für Auftragnehmer, mittelbar aber auch für die Auftraggeberseite.
Preisgleitklauseln sind Wertsicherungsklauseln bei bestehenden Zahlungsbedingungen. Der Lieferant behält sich im Falle von Erhöhungen seiner Selbstkosten vor, den geforderten Preis für seine Leistung anzupassen. Die Vereinbarung einer Preisgleitklausel ist vom Bieterangebot abgekoppelt. 
Bieter können im Rahmen ihrer Angebotserstellung weiterhin, unabhängig von der Vereinbarung einer Preisgleitklausel, kalkulieren. Anfallende Preissteigerungen werden abstrakt ermittelt und der Anspruch auf Mehr-/Minderkosten ist allein von den maßgeblichen statistischen Indizes abhängig. Die Vereinbarung einer Preisgleitklausel, die vom Auftraggeber vorgegeben wird, hat somit keinen Einfluss auf die spätere Angebotswertung.
 

2. Erlasse, die seit März in Bezug auf Preissteigerungen in Kraft getreten sind und bis zum 31. Dezember 2022 gelten:
a) BMWSB, BMDV vom 25. März 2022 = Vereinbarung von Preisgleitklauseln für wichtige Baumaterialien
 

  • Der Erlass ordnet die Verwendung von Stoffpreisgleitklauseln entsprechend des Formblattes 225 VHB für die genannten Produktgruppen an.
  • Der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Leistungserbringung muss mindestens 
    1 Monat betragen.
  • Der Stoffkostenanteil des betroffenen Stoffes muss wertmäßig mind. 1% der vom Auftraggeber geschätzten Auftragssumme betragen.
  • Stoffpreisgleitklauseln für Betriebsstoffe sind zulässig, wenn
    • für sie eine eigenen Ordnungsziffer ausgewiesen wird.
    • der Wert 1 % der geschätzten Auftragssumme übersteigt.

b) HMdF vom 29. April 2022, OFD vom 30. Juni 2022 = Bezug auf Erlass des BMWSB mit der Bitte um Kenntnisnahme sowie entsprechender Beachtung auch bei Baumaßnahmen des Landes.
c) HMWEVW, HMdIS Schreiben vom 18. Mai 2022 = Empfehlung, Preisgleitklausel auch auf kommunaler Ebene anzuwenden; Verweis auf BMWSB vom 25. März.
d) BMWSB vom 22. Juni 2022 = Vereinbarung von Preisgleitklauseln für wichtige Baumaterialien, konkretisiert den Erlass des BMWSB vom 25. März 2022
 

  • Länder können sich den Regelungen anschließen.
  • Im Zuwendungsbau kommt es auf die Regelungen im Zuwendungsbescheid an.
  • Für die im Erlass vom 25.03. aufgeführten Stoffe beträgt die Aufgreifschwelle anstatt 
    1 % ausdrücklich 0,5 % Stoffkostenanteil der geschätzten Auftragssumme.
  • Generell gilt: Mindestens jedoch > 5.000 Euro.
  • Ermittlung des Basiswertes 1 ist ausdrücklich auch über kommerzielle Preisdatenbanken und auf von Bauwirtschaftsverbänden bereitgestellten Preisübersichten zulässig.

e) BMWK vom 24. Juni 2022 = bezieht sich auf Beschaffungen von Liefer- und Dienstleistungen.
f) HMdF vom 08.Juli.2022 = bezieht sich auf die Baumaßnahmen des Landes und bringt die Regelungen des Erlasses BMWSB vom 22. Juni inkl. der Arbeitshilfe, VHB 225a sowie das allgemeine Hinweisblatt zur Anwendung.
g) HMWEVW, HMdIS Schreiben vom 20. Juli 2022 = Bezugnahme auf BMWSB vom 22. Juni sowie auf Schreiben HMdF vom 29. April.
3. Ergänzungen/Konkretisierungen durch Erlass BMWSB vom 22. Juni
Zahlreiche Länder hatten die Bundesregelung vom 25. März dieses Jahres für ihren eigenen Zuständigkeitsbereich übernommen. So auch Hessen mit den Schreiben vom 29. April, 18. Mai, 30. Juni, 8. und 20. Juli:
 

  • Die Regelungen des Bundes werden bis 31. Dezember 2022 verlängert. Der bisherige Befristungszeitraum wird damit von 3 auf 6 Monate verdoppelt. Das gibt den Unternehmen Planungssicherheit.
  • Die Schwelle, ab der Stoffpreisgleitklauseln zu vereinbaren sind, wird von 1 % auf 0,5 % Stoffanteil an der Auftragssumme abgesenkt. Mit dieser Ausweitung des Anwendungsbereichs wird verhindert, dass sich mehrere, knapp unter 1 % liegende Stoffpositionen zu erheblichen Mehrbelastungen für das Unternehmen kumulieren. So konnte ein Unternehmen, dass z.B. in einer Position 0,9 % Holz, in einer anderen 0,9 % Stahl und in einer weiteren 0,9 % Aluminium hat, bisher nicht von der Klausel profitieren, obwohl sich die Gesamtmenge der den Preisveränderungen besonders ausgesetzten Stoffe auf 2,7 % addiert. Dies wird nun geändert.
  • Es wird eine alternative Handhabung der Stoffpreisgleitklausel eingeführt. Diese basiert, statt auf einem von der Bauverwaltung in den Ausschreibungsunterlagen vorgegebenen Preis, auf dem tatsächlichen Angebotspreis des Unternehmens, das den Zuschlag erhält. Das Unternehmen kann die Wirkung auf seine Kalkulation so besser abschätzen. Auch für die Bauverwaltungen wird die Klausel in der Anwendung damit einfacher.
  • Es wird betont, dass die Feststellung einer unzumutbaren Mehrbelastung für das Unternehmen in bestehenden Verträgen im Einzelfall getroffen werden muss. Eine feste Prozent- oder Betragsgrenze, ab deren Überschreiten solches stets anzunehmen sei, wird es weiterhin nicht geben, da dies durch die geltende Rechtslage nicht gedeckt ist.
  • Als ein Mittel, um unzumutbare Mehrbelastungen des Unternehmens in bestehenden Verträgen abzufedern, können Stoffpreisgleitklauseln auch nachträglich vereinbart werden. Diese nachträglichen Klauseln waren bisher mit einem erhöhten Selbstbehalt für das Unternehmen in Höhe von 20 % versehen. Der Selbstbehalt wird künftig auf den "normalen" Satz von 10 % abgesenkt, der auch für Stoffpreisgleitklauseln in neuen Verträgen gilt.

4. Muster und Arbeitshilfen zur Unterstützung in der praktischen Anwendung:
 

  • Indizes zu finden beim Statistischen Bundesamt
  • Formblätter/Hinweisblätter aus dem Vergabehandbuch des Bundes (VHB): VHB 214, 225, 225a (Baumaßnahmen); VHB 224 (Lohngleitklausel)
  • Arbeitshilfe: Excel-Sheet zur Berechnung Stoffpreisgleitklausel
  • Verfügung BAFA vom 24. Juni 2022: Im Zusammenhang mit den EU-Russland-Sanktionen im Bereich der öffentlichen Aufträge und Konzessionen wurde am 01:00 24-06-2022 die Allgemeine Genehmigung von Ausnahmen nach Artikel 5k Abs. 2 der Verordnung (EU) 833/2014 des zuständigen Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Die Allgemeine Genehmigung gilt für sämtliche Ausnahmetatbestände, die in Art. 5k Abs. 2 lit. a bis f der VO 833/2014 aufgeführt sind, und kann von allen Auftraggebern im Sinne des § 98 GWB ohne besondere Begründung für künftige/laufende Vergabeverfahren sowie bereits geschlossene Verträge in Anspruch genommen werden. Eine Einzelfallgenehmigung ist für die Nutzung nicht erforderlich und wird vom BAFA auch nicht erteilt.
    Weitere Einzelheiten zu den vergabebezogenen Sanktionen allgemein und der Nutzung der Allgemeinen Genehmigung (einschl. der Pflicht, sich einmalig beim BAFA zu registrieren) ergeben sich aus der 
    Website des BMWK