Nach einem langen Prozess intensiver Evaluation befasst sich der Landtag derzeit mit der Novellierung des HVTG. Anlass war von Anfang an die notwendige Einbindung der UVgO als Ersatz für die VOL/A 2009. Es bleibt derzeit allerdings abzuwarten, ob der im März 2021 in erster Lesung eingebrachten Gesetzentwurf der Regierungskoalition bis zur geplanten Verabschiedung vor der Sommerpause noch Modifikationen erlebt.
Insgesamt stellt sich das neue HVTG als eine konsequente Fortführung des bislang geltenden Rechts dar. Es enthält bis auf den Wegfall des Interessenbekundungsverfahrens (IBV) aber auch keine Sensationen. Wie bisher gelten die Verfahrensordnungen unterhalb der Schwellenwerte für Bau-, Dienst und Lieferleistungen weiterhin für Landes -wie kommunale Auftraggeber in Hessen verpflichtend. Neu ist die generelle Gleichstellung der Öffentlichen Ausschreibung mit einer Beschränkten Ausschreibung, sofern diese mit einem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird. In dieser Hinsicht hat sich das hessische Recht den EU-Verfahrensregeln angepasst.
Mit der Einführung der neuen UVgO wird das Prinzip beibehalten, dass diese Verfahrensordnung nachrangig gilt. Sofern das HVTG abweichende Verfahrensregelungen enthält, gelten nur die hessischen. Das gilt z. B. für die Freigrenzenregelung, die in Hessen bereits 2009 eingeführt wurde. Das Vergaberegime in Hessen ist weiterhin ab einem Auftragswert von 10.000 Euro netto zu beachten. Daneben kann die Auswahl der Verfahrensart mit oder ohne Bekanntmachungspflicht allerdings auch durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein, sofern dieser in der UVgO explizit geregelt ist. Statt dem Begriff der Freihändigen Vergabe wird im Dienst- und Lieferleistungsbereich die Sprachregelung der UVgO übernommen. Um Verwechselungen mit der Direktvergabe ein für alle Mal auszuschließen, heißt dieses Verfahren nunmehr „Verhandlungsvergabe“.
Für Bauleistungen sind die in der novellierten VOB/A 2019 verankerten Auftragswerte (sog. Freigrenzen) 1:1 in die textliche Fassung des HVTG übernommen worden. Eine Beschränkte Ausschreibung ohne Bekanntmachungspflichten ist nunmehr bis zu einem Auftragswert von 250.000 Euro zulässig, wenn es sich um Bauleistungen für Wohnzwecke handelt, sogar bis 1 Mio. je Auftrag. Darüber hinaus ist ein Beschränkte Ausschreibung nur noch in Kombination mit einem Teilnahmewettbewerb, der auf der HAD bekannt zu machen ist, zulässig. Weitere Vorgaben zur Verfahrensauswahl sind unverändert geblieben.
Mittelstandfreundlichkeit und Nachhaltigkeit machen wie bisher einen Schwerpunkt des HVTG aus. Landesbehörden sind weiterhin zur Anwendung von Nachhaltigkeitskriterien verpflichtet, für kommunale Auftraggeber besteht nur eine Anwendungsempfehlung. Eine Straffung des Textumfangs zu Nachhaltigkeitsaspekten ergibt sich durch die Rückführung eines bislang abschließend geregelten Katalogs von neun Aspekten auf soziale und umweltbezogene Aspekte, wie etwa den Klimaschutz, aber auch das Thema Innovationen. Dies verschafft den Auftraggebern zugleich erweiterte Anwendungsmöglichkeiten. Sie können nunmehr vielfältige Nachhaltigkeitsmerkmale als qualitative Kriterien der Eignungsprüfung, der Leistungsbeschreibung oder als Wertungskriterien neben dem Preis in das Vergabeverfahren aufnehmen.
Das HVgG vom 25. März 2013 (GVBl. 2013, 119 (121) hatte erstmals die Tariftreue- und Mindestlohnpflicht im hessischen Vergaberecht verankert. Ergänzend wurde im HVTG 2015 (GVBl. 2014, 354) die sog. „Verpflichtungserklärung“ eingeführt, die auch von Nachunternehmern abzugeben ist, flankiert von Kontrollplichten des Auftraggebers. Daran hat sich durch die Novellierung insoweit nichts geändert. Eine Konkretisierung bzw. Verschärfung enthält der Gesetzesentwurf, der die Einrichtung einer sog. „Stelle“ jetzt verpflichtend vorsieht. Eine Anlaufstelle sollte bereits mit dem HVTG 2014 eingerichtet werden. Statt des ursprünglich vorgesehenen „Beirats“, wird diese Aufgabe in Zukunft vom zuständigen Sozialministerium wahrgenommen.
Das Interessenbekundungsverfahren ist durch den Teilnehmerwettbewerb ersetzt worden, so wie man ihn bundesweit kennt. Damit verzichtet man in Zukunft auf die Möglichkeit, durch das „Setzen“ von Bietern das Verfahren mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit durch einen Zuschlag zu beenden. Der Auftraggeber konnte sich auf zuschlagsfähige Angebote von gesetzten Bietern in der Regel verlassen. Wer als „gesetzter Bieter“ ins Verfahren einbezogen wurde, konnte ohne Eignungsprüfung am Verfahren teilnehmen, da seine Eignung dem Auftraggeber bereits nachgewiesen war.
Die HAD wird weiterhin das zentrale Pflichtbekanntmachungsorgan für alle öffentlichen Auftraggeber und Zuwendungsempfänger oberhalb und unterhalb der EU-Schwellwerte in Hessen sein. Sie ist damit seit 2007 bundesweit die einzige Datenbank, die umfassend alle Bekanntmachungen aller öffentlicher Auftraggeber und Zuwendungsempfänger eines Bundeslandes zusammenführt.
Auch das hessische HPQR bleibt als Instrument der Eignungsprüfung im HVTG verankert. Es ist mit dem Berliner ULV das zweite Präqualifikationsregister, das zunächst auf Landesebene zur Entbürokratisierung und Beschleunigung von Vergabeverfahren eingeführt wurde, weil es die Vorlage von Einzelnachweisen entbehrlich macht. Seit Anfang 2021 ist das HPQR durch die Notifizierung bei der EU-KOM auch bundesweit bei Auftraggebern anzuerkennen. Die Eintragung im HPQR-Register bzw. die dazu ausgestellte Urkunde darf nicht älter als ein Jahr sein.
Erstmals wird bei Bauleistungen die Pflicht kodifiziert, vom Bestbieter eine Sozialkassenbescheinigung zu verlangen, bspw. der SOKA-Bau, die max. 6 Monate alt sein darf. Ersatzweise muss dieser Bieter eine Bescheinigung seiner Krankenkasse vorlegen, um die ordnungsgemäße Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nachzuweisen. Bei der Präqualifizierung in Hessen ins HPQR wird diese Bescheinigung bereits regelmäßig verlangt.
Bislang ist für die Auftragswertberechnung von Bauleistungen das Gewerk (Fachlos) als Berechnungsgrundlage heranzuziehen. Mit der Neuformulierung des Gesetzesentwurfs 2021 hat man sich als Maßstab für die Auftragswertberechnung vom Begriff des Gewerks verabschiedet und den Begriff des „Auftrags“ eingeführt. Wird ein Gewerk in Einzelaufträgen vergeben, ist für das maßgebliche Vergabeverfahren auf den Wert des Einzelauftrags abzustellen. Unklar bleibt, in welchem Verhältnis die neue Freigrenzenregelung, die den maßgeblichen Auftragswert jeweils aus dem einzelnen, zu vergebenden Auftrag berechnet, zu einer allgemeinen Bestimmung in § 1 Abs. 2 des Gesetzesentwurfes steht. Dort wird für die Schätzung der Auftragswerte auf § 3 VgV verwiesen. Eine fast gleichlautende allgemeine Bestimmung enthält das bisherige HVTG, entfallen sind im Entwurf allerdings die Worte „bei allen Vergabeverfahren“. Das deutet darauf hin, dass die Abhängigkeit bzw. Konnexität von Leistungen entgegen der herrschenden EuGH-Rechtsprechung in Zukunft nicht für die Freigrenzenregelung zu beachten ist. Mithin ist bei der Einzelausschreibung einer Leistung, die sich als Teil eines Gewerks darstellt, nur auf den dafür ermittelten Auftragswert abzustellen, um die zulässige Verfahrensart zu ermitteln. Der Gesetzesentwurf weicht insoweit auch von der VOB/A/1 ab, die das Gewerk als kleinste Einheit der Auftragswertermittlung festgelegt. Dies gilt auch, wenn Bauleistungen zu Wohnzwecken nach VOB/A/1 ausgeschrieben werden.
Freiberufliche Leistungen unterliegen nicht mehr dem Anwendungsbereich des HVTG. Für sie gelten die speziellen Regelungen der UVgO. Damit sind sie vom strengeren Regime der HAD-Bekanntmachungspflicht ab einem Auftragswert von 50.000 Euro freigestellt.
In Zukunft wird eine Informationsstelle bei der Oberfinanzdirektion (OFD) eingerichtet, die nicht zuverlässige Unternehmen wegen schwerer Verfehlungen in ein Register aufnehmen kann. Öffentliche Auftraggeber können dort Auskunft im Rahmen der Eignungsprüfung einholen. Bestimmte Sachverhalte mit einer besonderen Schwere der Verfehlung rechtfertigen auch eine Eintragung in das neue Wettbewerbsregister. Im Gegensatz zum diesem bundesweiten Register beim Bundeskartellamt kann eine Registrierung bei der OFD bereits vor einer rechtskräftigen Entscheidung nach Anhörung erfolgen. Letztendlich muss aber der Auftraggeber im konkreten Verfahren weiterhin selbst entscheiden, ob er den Bieter für geeignet hält, den Auftrag durchzuführen. Angesichts des bereits eingerichteten bundesweiten Wettbewerbsregisters müssen hessische Auftraggeber in Zukunft ab bestimmten Auftragswerten Auskünfte aus zwei Registern einholen. Es ist folglich nicht ausgeschlossen, dass Unternehmen gegebenenfalls in einem, aber nicht in dem anderen Register gelistet sind und dies hinterfragen werden.
Weiterhin sind Vergabekompetenzstellen bei den drei VOB-Stellen, bei Hessen-Mobil (für Landesstraßenbau) und der OFD (für Landesbetrieb Bau und Immobilien und TH DA) eingerichtet worden, die als Nachprüfungsstellen erstmals Rechtsschutz unterhalb der EU-Schwellenwerte für Bewerber und Bieter gewährleisten sollen. Die Verankerung effektiven Rechtsschutzes führt nicht zwangsläufig dazu, Verzögerungen im Vergabeprozess zu bewirken. Sie eröffnet vielmehr die Möglichkeit, eine schnelle, unabhängige Meinung einzuholen und entfaltet darüber hinaus eine positive Wirkung auf die Beschaffungskompetenz der Vergabestellen und hilft zudem, die Fehleranfälligkeit von Vergabeverfahren präventiv zu verringern. Die VOB-Stellen bei den hessischen Regierungspräsidien sind zukünftig auch Ansprechpartner für Auftraggeber und Bieter bei Vergabeverfahren, die Dienst- und Lieferleistungen betreffen. Die Möglichkeit für Bewerber und Bieter, noch nicht abgeschlossene Vergabeverfahren von einer zentralen, unabhängigen Nachprüfungsstelle vor Auftragserteilung auf ihre rechtmäßige Durchführung zu überprüfen, ist dem Regelungsansatz des HVTG von 2015 nicht gefolgt. Die Nachprüfungsmöglichkeit wird erst ab einem Auftragswert bei Bauleistungen von 500.000 Euro eröffnet, bei Liefer- und Dienstleistungen ab einem Auftragswert von 50.000 Euro. Nach Prüfung des Verfahrens teilt die Kompetenzstelle den Beteiligten eine Empfehlung mit. Die Aussetzung des Zuschlags während des Prüfungsvorgangs ist kein Muss, sondern wird als „Soll-Regelung“ letztlich den Auftraggebern überlassen. Wird die Zuschlagsentscheidung ausgesetzt, endet diese Interimszeit automatisch spätestens 14 Kalendertagen nach der Aufforderung der Nachprüfungsstelle, den Zuschlag auszusetzen, auch wenn keine Empfehlung ausgesprochen wurde.
Fazit: Mit der Novellierung, die das Ziel hatte, die UVgO einzuführen, ist eine Aktualisierung des hessischen Vergaberechts bewirkt worden. Unternehmen, die sich an nationalen Vergabeverfahren im Dienst- und Lieferleistungsbereich beteiligen, können sich auf eine bundesweite Vereinheitlichung des maßgeblichen Regelungswerks freuen. Die Nachprüfung von nationalen Verfahren auf ihre Rechtmäßigkeit hat eine Verortung gefunden, wenngleich wegen der Zulässigkeit ausschließlich bei hohen Auftragswerten nur wenige Verfahren den Weg dorthin finden werden. Zugleich ist es für Bieter unattraktiv, wenn die angerufene Stelle zu keiner Entscheidung verpflichtet wird. Die neuen Freigrenzen, insbesondere im Baubereich, und ihre neue Berechnungsmethode ist wie eine Medaille mit zwei Seiten zu sehen: Für einen Teil der Unternehmen und Newcomer, die den Zugang zum öffentlichen Auftraggeber noch suchen, bedeutet dies spürbaren Mehraufwand bei der Akquise öffentlicher Aufträge, weil weniger Verfahren auf der HAD veröffentlicht werden, allen anderen flattern Anfragen zur Angebotsabgabe weiterhin zu.
Am 2.6.2021 findet die Anhörung im Hessischen Landtag statt.
Gez. Brigitta Trutzel, Syndikusanwältin
GFin ABSt Hessen e.V., 01:00 12-05-2021